Marcel Ophuls, einer der besten Dokumentarfilmer der Welt, wird 90

„Mein Alter“, sagt er manchmal ein bisschen despektierlich, wenn er über seinen berühmten Vater spricht, den früh verstorbenen weltweit geschätzte Saarbrücker Filmregisseur Max Ophüls (1902-1957). Um dann im nächsten Atemzug fortzufahren: „Er war ein Genie! Ich bin nur begabt“. Am Mittwoch wird der begabte Sohn, Marcel Ophuls, der Oscar-gekrönte Dokumentarfilmer, 90 Jahre alt.

Den Oscar bekam er für „Hotel Terminus“ (1988), seine meisterhafte Viereinhalbstunden-Doku über den Gestapo-Mann Klaus Barbie vor dem Hintergrund von dessen Prozess in Lyon, die er aus 120 Stunden Rohmaterial schnitt. Ophuls befragte Zeugen, manche sind gesprächig, manche sagen Banales, manche schlagen ihm die Tür vor der Nase zu. Sein Film beruht ausschließlich auf den Aussagen der Zeugen. Ophuls kommentiert nicht, er „strukturiert“, wie er es nennt. Er versteht es, die Befragten  so sanft, geschickt und beharrlich zu bedrängen, dass sie lange Verschwiegenes offenbaren – und sich von ganz allein in Widersprüche verstricken. Ophuls  montiert Aussagen zu spannenden entlarvenden Gegenüberstellungen. Wie im Krimi.

Dabei hatte Ophuls mit Dokumentarfilmen eigentlich nichts am Hut. Der am 1. November 1927 in Frankfurt geborene Filmemacher wuchs unter den Hollywood-Emigranten auf – sein jüdischer Vater floh 1933 vor den Nazis aus Deutschland – und begann als Regie-Assistent seines Vaters bei dessen letztem  Spielfilm „Lola Montez” (1955), danach assistiert er bei Julien Duvivier und John Huston. Seine erste Filme waren Spielfilme: eine Episode für „Liebe mit zwanzig” (1961/62) in der Nouvelle Vague, und die wunderschön leichte Gangsterkomödie „Heißes Pflaster” (1963) mit Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo, der nach Besucherzahlen vierterfolgreichste Film des Jahres. Doch sein nächster Spielfilm „Ab heute wieder Niderschläge“, 1965) mit Eddie Constantine war schlecht und floppte. „Niemand wollte mir einen Job geben“, klagte Ophuls und ging wieder zum Fernsehen, wo er auch begonnen hatte. Von 1956 bis 1960 arbeite er als Dramaturg beim Südwestfunk. Nun beim französischen Fernsehen, drehte er Reportagen, „das entwickelte sich allmählich zum Dokumentarfilm“. Auch wenn private Interessen wichtig wurden – im Prinzip erledigte er immer nur Auftragsarbeiten, sagt er bescheiden.

Doch aus denen machte er zeitgeschichtliche Dokumente, bei denen man viel lernen kann. Ophuls polemisiert nicht wie Michael Moore. Er stellt keine Szenen nach. Er wendet sich nie direkt an den Zuschauer, auch wenn er als Interviewer oft im Bild ist. Seine Haltung beschreibt er als „investigativen Sarkasmus”. Er deckt unbequeme Wahrheiten auf: im Vichy-Frankreich („Das Haus nebenan”, 1972, seine erste Oscar-Nominierung), bei den Nürnberger Prozessen („Nicht schuldig?“, 1976), bei der deutschen Wiedervereinigung („Novembertage”, 1990), bei der Kriegsberichterstattung aus Sarajewo („The Trouble We’ve Seen“, 1994).Von seinem Vater, den er als sehr humorvoll beschreibt, hat er die Technik übernommen, seinen Interview-Partnern auch Anekdoten und Pointen zu entlocken. Das macht seine Filme trotz der ernsten Themen und der Länge (vier Stunden sind normal) so packend.

Ophuls, der heute in den Pyrenäen lebt und seinen Namen nicht mit „ü” schreibt, weil er sich nicht mit Nazi-Deutschland identifizieren will, und der seit über 40 Jahren mit dem anderen großen Dokumentarfilm,  mit dem Amerikaner Frederick Wiseman (87), befreundet ist (während er auf den französischen Kollegen Claude Lanzmann, der auch Nazi-Themen meisterhaft aufarbeitet, nicht so gut zu sprechen ist), drehte zuletzt seine wunderschöne humorvolle Autobiografie „Le Voyageur“ (2013). Im Vorjahr veröffentlichte er seine Autobiographie „Meines Vaters Sohn“, in der sich immer wieder auf seine Vater bezieht – wie er wird bis heute in Deutschland nicht als der große Regisseur anerkannt und gewürdigt, der er ist – und sich als begnadeter Erzähler und scharfer Denker entpuppt.

Das Filmemachen hat Marcel Ophuls aber noch nicht aufgegeben („Ich bekomme keine Rente, ich muss ja Geld verdienen“): Seit einigen Jahren schon arbeitet er mit einem Kollegen an der Doku „Unpleasant Truths“ (unbequeme Wahrheiten) über den Israel-Palästina-Konflikt.