Meisterwerk über das ewige Russland: Machtkämpfe nach Stalins Tod verwandelt Regisseur Armando Iannucci in ein zeitlos gültiges Gesellschafts-Panorama von Iwan dem Schrecklichen bis Putin – voll beißender Komik und grausiger Details.
Der Tod eines brutalen Diktators und Massenmörders als Stoff für eine Komödie? Auf den ersten Blick mutet dieser Einfall von Armando Iannucci – britischer Regisseur italienischer Herkunft – reichlich geschmacklos an. Was wäre heikler, als über die Täter zu lachen, ohne die Opfer zu verhöhnen? Bis man bemerkt: Dieser Film beleuchtet keinen vermoderten Tyrannen und seine Hofschranzen, sondern Verhältnisse, die bis heute andauern.
Dazu blendet er 65 Jahre zurück: Im März 1953 lädt Josef Stalin (Adrian Mcloughlin) das halbe Politbüro auf seine Datscha zum Trinkgelage. Die Runde sieht sich US-Western mit John Wayne an, kippt Wodka und reißt Herrenwitze. Derweil findet in einem Moskauer Konzertsaal ein Mozart-Konzert statt. Davon möchte der Musikliebhaber Stalin eine Aufnahme – also muss es auf der Stelle wiederholt werden. Für bessere Akustik wird der Raum mit Passanten gefüllt.
Danach schickt die Pianistin (Olga Kurylenko), deren Familie bei ‚Säuberungen‘ umkam, ein paar hasserfüllte Zeilen an den Generalissimus – ein Einbruch der Realität in sein abgeschottetes Datscha-Dasein. Mit drastischen Folgen: Stalin hat einen Schlaganfall, seine Blase entleert sich. Da die Wachen es nicht wagen, sein Zimmer zu betreten, bleibt er eine Nacht lang besudelt auf dem Boden liegen.
Am nächsten Morgen sind die Politbüro-Mitglieder fast panisch: Was tun, ohne Stalins Zorn zu riskieren? Alle guten Ärzte wurden liquidiert, weil sie ihn ja vergiften könnten, und rasch herbeigekarrte Kurpfuscher sind ratlos. Doch das Problem erledigt von selbst: Der Patient röchelt sein Leben aus. Nun rotieren seine Paladine, um ein pompöses Staatsbegräbnis auszurichten – und intrigieren wie wild, um Rivalen kaltzustellen und seine Nachfolge anzutreten.
Absolute Herrschaft, die lange stagnierte, wird interessant, sobald sie endet und die Karten neu gemischt werden. Genau diesen Moment greift Regisseur Iannucci heraus; für das wahnwitzige Kollektiv-Porträt einer Mafia-Clique. Ein Novum: Wann wären die Top-Gefolgsleute, die Stalins Schreckensregime installierten, jemals auf der Leinwand erschienen? Außer Nikita Chruschtschow sind fast alle nur noch Fachhistorikern geläufig. Obwohl die meisten Stalin um Jahrzehnte überlebt haben und ihre Nachkommen weiter zur Führungsschicht gehören – die Verbrechen des Stalinismus wurden in Russland nie aufgearbeitet, seine Funktionseliten kaum ausgetauscht.
Am eindrucksvollsten agiert Simon Russell Beale als Lawrenti Beria: Seit 1938 war er Innenminister und Geheimdienst-Chef. Seine NKWD-Truppen verhafteten, deportierten und ermordeten Millionen von Menschen. Als pädophiler Sadist folterte Beria oft persönlich und vergewaltigte zahllose Frauen und Mädchen, was der Film nicht verschweigt.
Solche Gräueltaten traut man Georgi Malenkow kaum zu. Stalin setzte ihn als Vize in Staat und Partei ein – wohl weil er ein wachsweicher Bürokrat war, von dem keine Gefahr drohte. Jeffrey Tambor spielt ihn als eitlen Opportunisten; er verplappert sich ständig, lässt aber alsbald diverse Ölbilder von sich als Parteiführer pinseln.
Ähnlich rückgratlos wirkt Außenminister Wjatscheslaw Molotow. Er nahm 1948 sogar hin, dass seine jüdische Ehefrau verbannt wurde – das rechtfertigt Darsteller Michael Palin pausenlos, bis er eine besonders abgefeimte Kabale lostritt. Dagegen kämpft Marschall Georgi Schukow (Jason Isaacs) mit offenem Visier: Der Sieger über Nazi-Deutschland kann sich auf die Rote Armee stützen.
In diesem blutrünstigen Bestiarium erscheint der schmächtige Chruschtschow anfangs als vermeintlich Unterlegener; doch Steve Buscemi spielt seine Konkurrenten raffiniert gegeneinander aus. Dann wären da noch Stalins Tochter Swetlana und Sohn Wasssili – sie eine hysterische höhere Tochter, er ein jähzorniger Trunkenbold.
Taktik ist alles, Strategie nichts
Diese sympathische Sippschaft arrangiert Regisseur Iannucci, Spezialist für ätzende Polit-Satiren, zum zeitlos gültigen Sittenbild. Dafür verdichtet er das Geschehen dramaturgisch: Tatsächlich dauerte Stalins Agonie vier Tage. Berias Entmachtung zog sich sechs Monate hin, bis er im Dezember hingerichtet wurde. Er war das letzte hochrangige Todesopfer des Stalinismus.
Die Übrigen waren sich zumindest einig, einander nicht mehr umzubringen. Mehr nicht – der Film breitet genüsslich aus, dass alle sonstigen Ideen und Konzepte nur Spielmaterial im Postengeschacher sind. Bis heute sind taktische Vorteile im russischen Politbetrieb alles, langfristige Strategien zählen wenig. Weshalb Kreml-Herrscher von Chruschtschow über Gorbatschow bis Putin das Ruder gern herumreißen und mal diese, mal jene Reform verkünden – und ihre Untertanen stets zustimmen. Heute so, morgen so.
Weltliches ist nicht so wichtig, denn alle wähnen sich auf dem Weg zum göttlichen Heil: Seit dem Fall von Konstantinopel 1453 beansprucht Moskau, das „Dritte Rom“ zu sein. Zum Schutz seiner Macht rekrutierte Zar Iwan IV. ‚der Schreckliche‘ (1530-1584) die Elite-Einheiten der Opritschniki; sie schlachteten Zehntausende ab. Staatsterror im Dienst einer Quasi-Theokratie hat also in Russland Tradition; Stalins NKWD setzte sie nur fort. Ergänzt durch die Doktrin des Marxismus-Leninismus – sie kopierte den Formalismus der christlichen Orthodoxie: Allein der korrekte Vollzug der Liturgie garantiert die Erlösung der Gläubigen.
Als Patriarch Nikon ab 1652 den Ritus verändern wollte, löste die Glaubensspaltung fast einen Bürgerkrieg aus. Dabei ging es um Fragen wie: Soll man sich mit wie bisher zwei Fingern oder künftig mit drei Fingern bekreuzigen? Das hat sich erledigt; aber nicht die russische Sitte, Formalitäten der Sache selbst überzuordnen. Was der Film in grausigen Details ausmalt: Wenn Beria zum Schäferstündchen mit weiblichen Opfern eilt, bringt er ihnen Blumensträuße mit – wie es sich bei Rendezvous‘ gehört.
Dann geht es wieder ganz informell zu. Russische Umgangssprache ist häufig sehr vulgär; dafür trifft die deutsche Synchronfassung genau den richtigen Zungenschlag. Sehr plausibel: Die meisten KP-Chargen stammten aus einfachen Verhältnissen. Was aber das Dauergebell auf der Tonspur nicht übertönen kann: Ständig wird irgendwer rüde abgeführt, misshandelt oder schlicht abgeknallt.
Wann hätte eine rabenschwarze Komödie so viele historische Konstanten einer Gesellschaft derart prägnant auf den Punkt gebracht? Drehbuch und Inszenierung strotzen vor brillant beobachteten, verräterischen Details, die das Ende der Sowjetunion überdauert haben. In Russland darf der Film übrigens nicht gezeigt werden, um die Gefühle der Bürger zu schonen: Laut einer Umfrage von 2016 sehen 37 Prozent der Russen Stalin positiv, nur 17 Prozent beurteilen ihn negativ. Das dürfte dem Kreml sehr recht sein: Eine größere Ehre als ein Verbot kann er diesem Meisterwerk gar nicht erweisen.